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Zum
akademischen Abschied von Prof. Dr. Rudolf zur Lippe
Verehrte Gäste, liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen!
Das Institut für Philosophie, in dessen Namen ich spreche, sagt Ihnen,
Herr zur Lippe, valet. Abschied Nehmen ist in aller Regel schmerzlich.
Eine Veranstaltung wie diese heutige ist jedoch nicht der Ort, um über
das subjektive Moment, die Gefühle Einzelner, zu sprechen; vielmehr: Was
bedeutet objektiv dieser Abschied? Ein Emeritus ist jemand, der Meriten
erwarb, der sich verdient gemacht hat. Abschied nimmt er von den Dienstpflichten,
die da vorrangig lauten: Verwaltung, Verwaltung, Verwaltung; einmal Selbstverwaltung;
dann die übermächtige Zentralverwaltung der Universität; Eingriffe des
Ministeriums; und immer sind es Personen, die Sparzwänge wie Sachzwänge,
wie naturgesetzlich bestimmte Zusammenhänge, meinen durchsetzen zu müssen.
Kann ein Wissenschaftler davon Abschied nehmen, so liegt darin ein Moment
von Glück. Wenn diese Universität mehr und mehr an einem nach gegriffenem
Schlüssel berechneten Output sich orientiert und wenn ein Fach dieser
Universität, wie die Philosophie, aus der ratio des Faches heraus dem
entgegensteht - es geht in der Philosophie um die vernünftige Bestimmung
von Zwecken, eine Reflexion, die nicht heteronom bestimmt sein kann danach,
was Geld einbringt oder nach willkürlich konstruierten Indikatoren Punkte
abwirft, wenn also die Philosophie in einem notwendigen Konflikt mit dieser
Universität steht - und Sie, Herr zur Lippe, waren noch bis vor 4 Wochen
Direktor des Instituts für Philosophie an dieser Universität -, dann ist
die Distanz zur herrschenden Subalternität, die diesen Konflikt noch nicht
einmal begreift, ein Glück. Paradox ist, daß erst dann, wenn der offizielle
Abschied von der Universität genommen wird, dasjenige, was im strengen
Sinn universitas litterarum ist, anfangen könnte. Und so muß ich meinen
ersten Satz präzisieren: Der Abschied ist ein Abschied von dem dienstverpflichteten
Professor, nicht von der Person und dem Philosophen zur Lippe.
Das Zweite nach dieser Bestimmung des Abschieds ist, daß ich Ihnen, wohl
stellvertretend für viele, Dank sagen möchte, Dank in allererster Linie
für ausgetretene Pfade verlassende Anstöße zum Denken. Ohne Sie, Herr
zur Lippe, gäbe es keinen Magister-Studiengang Philosophie; die Errichtung
des Instituts wäre ohne Sie nicht möglich gewesen. Nach der Pause werden
wir in den Gesten konkret erfahren, welche Wirkungen von Ihnen angestoßen
wurden. Das Dritte, das ich formulieren möchte, ist die Hoffnung, daß
Sie, Herr zur Lippe, weiter am Philosophieren an unserem Institut mitwirken,
nicht mehr dienstverpflichtet, aber eben aus Freiheit bestimmt. Und diese
Hoffnung ist nicht eine des beliebigen Meinens, sondern eine, von der
ich mit zwingenden Gründen zeigen kann, daß jeder, der vernünftig argumentiert,
sie haben soll.
Nach Abschied, Dank und Hoffnung komme ich zu einem theoretischen Punkt
mit hochschulpolitischer Brisanz: An dieser Universität gibt es Bestrebungen,
der Stelle, die Herr zur Lippe besetzte, den Inhalt, den er ausgestaltete
und mit Leben erfüllte, zu streichen. Die Stelle war bislang mit der Denomination
"Theorie der Ästhetik" versehen. Solche Streich-Bestrebungen werden dadurch
ermöglicht, daß Ästhetik auf eine Spezialdisziplin des departimentalisierten
Geistes gebracht wird, die dann als zwar eingestandenermaßen aparte, aber
doch eben verzichtbare Petitesse den als naturhaft interpretierten Sparzwängen
geopfert werden kann. Was aber ist Ästhetik dem Begriffe nach? Im klassischen
Sinn gilt die Disziplin der Ästhetik der sinnlichen Erscheinungsweise
und den sinnlichen Bedingungen der Totalität dessen, was kulturelle Objektivationen
sind - angefangen von den Gestalten der Ökonomie über die Jurisprudenz
und Moral bis hin zu Dichtung, Religion und Philosophie. Die kulturellen
Objektivationen sind in einem geschichtlichen Prozeß hervorgebracht worden,
einem Prozeß in Raum und Zeit. Die Menschen, die jene kulturellen Objektivationen
produzierten, sind der Selbstreflexion fähig - und genau diese Selbstreflexion
ist Ästhetik der Kultur - eine Grundlagendisziplin; eine Grundlagendisziplin,
die wesentlich ist für eine Universität und nicht akzidentell - kann sein/kann
nicht sein - wie z.B. Wirtschaftsinformatik. Wir leben nicht in einem
bloß physikalischen, sondern in einem, wie Cassirer formuliert, "symbolischen
Universum. Sprache, Mythos, Kunst und Religion sind Bestandteile dieses
Universums. Sie sind die vielgestaltigen Fäden, aus denen das Symbolnetz,
das Gespinst menschlicher Erfahrung gewebt ist"(1). Philosophische Reflexion
umfaßt so nicht nur das Erkennen in Mathematik und Naturwissenschaften,
sondern eben auch das, was im weitesten Sinn Ästhetische Erfahrung ist.
Da kulturelle Ausdrucksformen sich nicht in der Form freier Reflexion
vollziehen, vielmehr sich selbst verborgen bleiben, bedarf es der theoretischen
Reflexion, eben einer Ästhetik der Kultur, um die schöpferische Kraft,
die Poiesis, in jenen Ausdrucksformen wiederzuerkennen. Das Streichen
von Ästhetik verstümmelt die Philosophie, und nicht nur die Philosophie,
sondern die Universität insgesamt, falls diese ihrem Begriffe noch adäquat
zu sein beansprucht. Wenn jedoch Bildung und wissenschaftliche Reflexion
ihr Maß in Indikatoren finden sollen, dann ist alles, was nicht in Relation
zu einem der Sache Äußerlichen Maß gesetzt werden kann, verloren. Jene
Selbstreflexion in der Ästhetik ist eo ipso nicht abbildbar auf zu dieser
Reflexion Äußerliche Maße - einfacher formuliert: Diese Reflexion ist
nicht käuflich. Von daher erklärt sich die Tendenz, sie als im wörtlichen
Sinne "wertlos" zu deklarieren.
Philosophie, die ancilla theologiae, war Magd nicht nur für die theologische
Fakultät, sondern auch für die juristische und somit für die Machtmenschen
an der Spitze eines Staates. Wenn nun auch der heutige Wissenschaftsbetrieb
der Philosophie die dienende Rolle einer Magd zuweist und etwaige weitergehende
Ansprüche abweist mit: entweder Magd oder gar nicht, so bleibt doch die
von Kant gestellte Frage unbeantwortet, ob diese Magd "ihrer gnädigen
Frau die Fackel vorträgt oder die Schleppe nachträgt"(2). Die Universität
hat sich mit einer glanzvollen Schleppe geschmückt, die da heißt: Karl
Jaspers Vorlesungen, und diese Schleppe hat Herr zur Lippe der gnädigen
Frau hinterhergetragen. Ob die gnädige Frau jedoch gemerkt hat, daß dabei
zugleich eine Fackel vorangetragen wurde und welches Licht da von der
Fackel der Magd kam? "Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die
Finsternis hat's nicht ergriffen"(3). "Jeder, der Arges treibt, haßt das
Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden"(4).
Sie, Herr zur Lippe, haben mir einmal erzählt, daß von denjenigen, die
Sie zu den Jaspers-Vorlesungen zu Fragen der Zeit einluden, Eingeladene
vor allem aus Ländern der 3. Welt, daß von diesen Eingeladenen kaum einer
war, der in seinem Herkunftsland nicht irgendwann einmal im Gefängnis
gesessen hatte.
Die Gefahr einer akademischen Valediktion liegt darin, zwischen der Person
und der Sache, wofür die Person steht, nicht zu trennen. Denn trennte
man nicht, geriete das Ganze zur Schmeichelei eines sich edelmütig gebenden
Bewußtseins. Solche Schmeichelei priese den Einzelnen als abgesondert
von allen, als Ausnahme schlechthin, als einmalig und einsam. Implizit
würde damit gesagt, daß er von seinem Wesen nichts mitteilen könnte und
daß er nicht seinesgleichen hätte. Derartige Schmeichelei erfüllte die
Funktion, daß der Schmeichelnde nur sich selbst schmückte als Zierrat
für den zu Schmeichelnden und daß zusammen mit dem Lobpreis die Sache
selbst beerdigt werden würde.
Zum Schluß möchte ich, im Namen des Instituts, Ihnen, Herr zur Lippe,
unser Abschiedsgeschenk überreichen. Wir wissen um Ihre Affinitüt zur
französischen Kultur; wir wissen, daß Sie viel zu Goethe gearbeitet
haben. Deswegen schenken wir Ihnen: Tancred, Trauerspiel in fünf Aufzügen,
nach Voltaire von Goethe. Es versteht sich von selbst, daß es die Originalausgabe
von 1802 ist und daß ein paar historische Rosen aus dem Hofgarten von
Weimar beigefügt sind.
Nachweise:
(1) E. Cassirer: An Essay on Man, dt.: Versuch über den Menschen, übers.
v. R. Kaiser, Hamburg 1996, 50.
(2) I. Kant: Der Streit der Fakultäten, Akademie-Ausgabe Bd. VII, 28.
(3) Das Evangelium nach Johannes, 1,5.
(4) Das Evangelium nach Johannes, 3,20.
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